Der Apfel

Wieder einmal hatte ich mich blamiert – ja jämmerlich versagt!
Warum nur passierte mir das nun schon zum x-ten Mal? Es war zum Verrückt werden!
Wieder hatte ich mich nicht getraut, stand mit grossen Augen vor ihr, brachte weder einen Ton über meine Lippen, noch konnte ich verhindern, dass mein Mund weit offen stand, ohne dass ich ein Wort oder Laut zustande gebracht hätte – ich schaffte es nicht.
Ich schämte mich und meine Gefühle des neuerlichen Versagens drohten mich zu überfluten.
Dabei hatte ich mir doch alles so blumig ausgedacht, um beim Anblick von Theresa ja nicht wieder in so peinliches Schweigen zu verfallen.
Enttäuscht über meine verpasste Chance liess ich meinen Kopf hängen und trottete gebrochenen Herzens nach Hause.
Theresa!
Nur schon beim Klang ihres Namens geriet ich in helle Aufregung. Ihre kirschgrossen Augen, ihr gelocktes, pechschwarzes Haar, ihre vollen Lippen und das hübsche ansteckende Lachen verzauberten meinen trist gewordenen Schulalltag seit Wochen.
Genau gesagt war es nach den Ferien, als es hiess, dass unsere Klasse eine neue Schulkameradin bekommen sollte.
Damals ahnte ich noch nicht, dass die Sonne für mich an einem Montagnachmittag ein zweites Mal aufgehen sollte.
Schüchtern trat sie neben unserer Lehrerin ins Klassenzimmer, nickte uns kurz zu und sass auf dem ihr zugewiesenen Stuhl, auf der rechten Seite, eine Reihe vor meinem Platz, ab.

Mit der Ankunft von Theresa veränderte sich mein Leben gänzlich.

Plötzlich interessierten mich meine Schulfreunde nicht mehr so und ich bemühte mich vermehrt um die Nähe zu den Mädchen und vor allem zur Neuen. Ich nahm Umwege meines Heimweges in Kauf, nur um zu sehen, in welchem Haus sie wohnte. In den Pausen positionierte ich mich so, dass ich den Vorplatz gut überblicken konnte und so jederzeit informiert war, wo sie sich gerade befand und mit wem sie sich unterhielt.
Ich hatte nur noch Augen für Theresa.
Meine Knie wurden jedes Mal weich, wenn sie während der Schulstunde, ‘zufällig’ über ihre linke Schulter, zu mir nach hinten schaute und mich wissend anlächelte.
Mein Verhalten blieb natürlich nicht unbemerkt und schon nach einer Woche musste ich mir die ersten Bemerkungen meiner Freunde anhören.
Zuerst stritt ich natürlich alles ab und stellte ihre Hänseleien als Hirngespinst und grobfahrlässige Phantasie hin.
Doch schon nach kurzer Zeit gestand ich mir meine Liebe ein.
Amors Pfeil hatte mich voll getroffen und ich war trunken vor Liebe zu Theresa.
Was wie ein Sonnenaufgang begann, entwickelte sich zur ersten grossen Liebe ohne Wenn und Aber.
Ich hatte nur ein einziges Problem: ich war schlicht und ergreifend unfähig, diese Liebe in Worte zu fassen, geschweige denn, mich mit der Angebeteten zu unterhalten.
Ich war einfach zu schüchtern.
Die Situation überforderte mich total, war es ja das erste Mal und ich war es nicht gewohnt, mit solch aussergewöhnlichen Situationen umzugehen.
Zu Hause konnte ich es mir nicht erlauben, davon zu erzählen, ohne zu riskieren, von meinen älteren Schwestern gnadenlos ausgelacht und aufgezogen zu werden.
Ich wollte mich nicht zum Gespött machen, und denoch war ich, je länger ich wartete, überzeugt, dass ich den ersten Schritt machen sollte und meine Gefühle Theresa offenbaren wollte.
Noch wusste ich nicht wie, aber mir würde schon etwas Originelles einfallen, davon war ich felsenfest überzeugt. So begann ich mir in Gedanken Situationen vorzustellen, wie ich es wohl anstellen könnte, was ich ihr inhaltlich genau sagen wollte.
Aber immer wieder verwarf ich meine gefassten Pläne und Wortwendungen, weil sie mir zu unrealistisch, zu wülstig oder unromantisch vorkamen.
So vergingen die Tage und Wochen, ohne dass ich mich getraute.
Ich konnte einfach nicht, mir fehlte der Mut.
Was sollte ich machen?
Meine Verzweiflung über meine Unfähigkeit erreichte einen neuen Höhepunkt, nachdem ich wieder einmal, während einer Schulstunde von unserem Lehrer, abrupt aus einem meiner erotischen Tagträume mit Theresa gerissen wurde.
Die ganze Klasse brüllte natürlich los - Theresa blickte schüchtern zu mir, lächelte mich an, während ich spürte, wie mein Gesicht langsam zu einer superroten Tomate anlief.

Beim Nachtessen bemerkte mein Vater meine Verstimmtheit. Er sprach mich daraufhin an, und ich gab ihm unmissverständlich zu verstehen, dass ich höchstens unter vier Männeraugen zum Besprechen bereit war.
So verzogen wir uns anschliessend in mein Zimmer. Es kostete mich eine Menge Mut, doch schliesslich überwand ich meine Scham und erzählte ihm von Theresa, meiner Liebe zu ihr und meiner Unfähigkeit, sie anzusprechen. Ach, war das befreiend, endlich mit jemandem meinen Liebeskummer teilen zu können und tröstende Worte zu hören.
Er hörte geduldig zu, stellte die eine oder andere Frage, legte seinen Arm um meine Schultern und erzählte mir schlussendlich von „seiner“ ersten grossen Liebe.
Ich war tief berührt und fragte, wie er denn damals die Situation gemeistert hätte.
Er lächelte mich an, und gab mir augenzwinkernd den Tipp, wenn ich schon keine Worte fände, es doch mit einem Geschenk zu probieren.
Genial! Auf diese Idee wäre ich jetzt wirklich nie gekommen und ich bedankte mich für die Anteilnahme und seinen väterlichen Rat.
Dieser Vorschlag kam einer Offenbarung gleich, und ich entschied mich, es am kommenden Tag gleich ausprobieren zu wollen, konnte ich es doch am Freitag am ehesten so einrichten, dass ich Theresa auf dem Nachhauseweg alleine treffen würde.
Der Freitagnachmittag wollte und wollte nicht enden.
Endlich erscholl die Glocke und ich konnte meinen gefassten Entschluss, sie an der Ecke des Dorfladens abzupassen, in die Tat umsetzen.
Ich lief sogleich los und wartete bereits, als sie, um nach Hause zu gelangen, am Laden vorbeikam.
Im richtigen Moment trat ich ihr in den Weg und grinste verlegen.
Sie blieb stehen, lächelte mich an und wollte schon etwas sagen.
Da griff ich in meine umgehängte Pausentasche, zog einen herrlich rot-schimmernden Apfel heraus und streckte ihn ihr hin.
„Für dich“, hauchte ich atemlos und mit Herzklopfen, das sie bestimmt hören musste.
In ihren Augen blitzte es, sie strahlte übers ganze Gesicht, bedankte sich höflich und biss genüsslich in den Apfel.
Ich stand atemlos da, sah sie an und wusste nicht wie mir geschah.
Als sie den Bissen gekaut und heruntergeschluckt hatte, streckte sie mir den Apfel wieder hin und sagte sanft: „Für uns!“
Verdattert und unfähig, etwas zu sagen, nahm ich ihr den Apfel ab, schaute ihn an und biss selber herzhaft zu.
Geschafft!
Es war der süsseste Apfelbiss, den ich in meinem Leben je tätigte und noch heute schmecke ich jedes Detail dieses Bissens in meinem Mund.

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